Die Naturheilkunde ist eine Disziplin in der Medizin, die davon ausgeht, dass sprichwörtlich „gegen alles ein Kräutlein gewachsen ist“, d.h., dass verschiedene Substanzen aus der Natur gegen viele Krankheiten erfolgreich verwendet werden können. Die Naturheilkunde ist die älteste Form der Medizin überhaupt. Bereits in der Steinzeit erkannten Menschen die heilende Wirkung verschiedener Kräuter. – Heute versteht sich die Naturheilkunde als Ergänzung zur Schulmedizin.
Andere Gesichtspunkte
Die Schulmedizin arbeitet oftmals mit chemischen Substanzen. Dies kann -abhängig von Krankheit und Stadium – sinnvoll, angebracht und sogar lebensrettend sein. Die Medizin ist derart komplex und vielschichtig, dass sich bedingt durch die enorm schnell voranschreitende Forschung, immer mehr Fachgebiete hervortun. Es versteht sich von selbst, dass sich der Spezialist auf sein Wissensspektrum fokussiert und nicht mehr das ganze Körpersystem im Auge behalten kann. Selbstverständlich gehen die im Studium angeeigneten Kenntnisse nicht verloren, aber sie treten in den Hintergrund, was zu einer mangelnden Optik gegenüber dem Patienten und seinen Bedürfnissen führen kann.
Die Naturheilkunde hingegen versucht ganzheitlich zu arbeiten, d.h., dass die Detailkenntnis wesentlich geringer, der Blickpunkt gegenüber dem Patienten aber grösser ist. Da wo die wissenschaftlich orientierte Medizin lediglich das Krankheitsgeschehen im Auge behält, versucht der Komplementärtherapeut die Gesamtsituation zu erfassen. Ein Anamnesegespräch umfasst deshalb nicht nur die Symptome einer zu behandelnden Krankheit, sondern auch allgemeine Fragen, wie z.B. zum Wohlbefinden, Appetit, Durst, Schlaf, Stuhlgang und Harndrang als auch Fragen zum privaten Leben, wie z.B. der Arbeit und der Existenz. Diese Fragen sollen Hilfestellungen im bevorstehenden Therapieverlauf leisten. – Die Frage „Wie geht es Ihnen?“ ist in der heutigen Zeit rein rhetorischer Natur, was auch zu einer entsprechend oberflächlichen Beantwortung führt. Es ist Aufgabe des Komplementärtherapeuten, den Dingen auf den Grund zu gehen und herauszufinden, wo – neben dem primären Krankheitsgeschehen – Schwierigkeiten schlummern und wo und wie diese positiv unterstützt oder sogar behoben werden können.
Die geringe Akzeptanz zwischen Schulmedizinern und Naturheilpraktikern kann auf mangelndes Verständnis, teilweise basierend auf einem anders verwendeten Wortschatz, zurückgeführt werden. Naturheilpraktiker sprechen zum Beispiel immer wieder von der „Stärkung des Immunsystems“, was im Wortschatz der Ärzte als lächerliche und unqualifizierte Aussage taxiert wird. Wenn ein Naturheilpraktiker von der „Stärkung des Immunsystems“ spricht, so meint er im Grunde genommen nichts anderes, als das „innere Milieu“ auf Vordermann zu bringen, um so ein Gleichgewicht im Organismus herzustellen. Eine solche „Grundtherapie“ kann sich auf den weiteren Krankheitsverlauf sehr positiv auswirken. – Zum Wohl des Patienten sollte es im Interesse beider Berufsgattungen sein, eine gemeinsame Sprache zu finden.
Zeit und Empathie – die Aufgabe des Therapeuten
Nun, was können Komplementärtherapeuten oder Naturheilpraktiker einem Patienten bieten? Wir können keine Diagnosen stellen, wir können keine Medikamente verabreichen und wir können auch nichts machen, was die Krankheit zum Verschwinden bringt.
Unsere Aufgabe ist es, Zeit und Mitgefühl zu haben. Dies klingt simpel, ist in unserer Zeit aber ein seltenes Gut, welches vielen Menschen, gerade in schwierigen Zeiten, fehlt. Ziel des Komplementärtherapeuten sollte sein, als Schnittstelle zwischen Arzt, Psychologe/Psychiater und Familie zu dienen. Oftmals ist der Patient mit einer eventuellen Diagnose als auch mit den Informationen, die er erhält, überfordert. Er bekommt immer wieder gut gemeinte Ratschläge, wird gedrängt, aufgefordert, ja teilweise sogar genötigt, etwas „gegen“ seine Krankheit zu unternehmen. Der Prozess der Integration und Akzeptanz bleibt hier völlig auf der Strecke. – Hier kommt die Aufgabe des Komplementärtherapeuten zum Tragen. Nebst der Anamnese, Pflanzenheilkunde, Körpertherapie und Ernährungsberatung, ist es auch unsere Aufgabe, bei der seelischen Bewältigung einer solchen Herausforderung unterstützend zu wirken. Es ist unsere Aufgabe Halt zu geben, Licht ins Dunkle zu bringen, Ansprechpartner für Zweifel, Ängste und Freuden zu sein und den Patienten dabei zu unterstützen, dass er einen solchen Schicksalsschlag annehmen kann. – Ein Dozent von mir hat einmal gesagt, dass nur das Leben vor dem Tod wichtig ist. Dies sollten wir uns alle verinnerlichen. Was morgen ist, wissen wir nicht, aber den heutigen Tag können, dürfen und sollen wir bewusst leben.